Wege aus der schmerzhaften Zerknirschung
Viele Menschen leiden an chronischen Kopf-, Rücken- oder Nackenschmerzen und ahnen nicht, dass die Ursache in einer Fehlfunktion des Kauapparats zu finden ist. Einfach gesagt: die Zähne von Ober- und Unterkiefer passen nicht optimal aufeinander. „Cranio-Mandibuläre Dysfunktion” (CMD) lautet hierfür der Fachausdruck.
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Häufig wird dies durch Knirschen oder Aufeinanderpressen der Zähne verursacht. Das geschieht meist unbemerkt nachts im Schlaf oder bei konzentrierter Anspannung (zum Beispiel PC-Arbeit) auch am Tag. Folgen dieser permanenten Fehlbelastung der Kiefer sind unangenehmes bis schmerzhaftes Knacken beim Kauen, überempfindliche Zahnhälse, nicht selten auch Schwindelanfälle, Schlafstörungen, Ohrenschmerzen oder Tinnitus. Werden Zähne und Kiefer über lange Zeit auf diese Weise strapaziert, kommt es darüber hinaus auch zu Symptomen wie Kopfschmerzen, Blockierungen der Halswirbelsäule oder sogar einem Beckenschiefstand.
Zuviel oder zu wenig Biss?
Was ist die Ursache? Der menschliche Kiefer ist nicht nur ein Instrument, um Speisen zu zerkleinern und um zu sprechen, sondern auch eine Art Stressverarbeitungsorgan. Daher kommt es, dass Menschen in Phasen großer Belastung oder emotionaler Anspannung buchstäblich mit den Zähnen knirschen. Das ist zunächst einmal nichts Schädliches, sondern eher Nützliches: Wissenschaftliche Studien haben bewiesen, dass Menschen, die sich nicht „durchbeißen“, sondern eher „runterschlucken“, häufiger an Magengeschwüren oder Krebs erkranken. Das Knirschen der Zähne wirkt quasi wie ein Blitzableiter für schädliche Energien. Aber: werden die Kräfte beim Knirschen und Pressen zu groß, kann das System entgleisen.
Stress macht Schmerzen
Häufigste Auslöser der CMD sind negativer Stress und Sorgen. Dazu kommen jedoch auch körperliche Ursachen wie Störungen der Wirbelsäulenstatik, etwa durch Haltungsschäden oder einen Unfall. Manchmal ist der Grund auch direkt im Zahnbereich zu finden: Wenn Füllungen oder Kronen den Biss stören. Bei Zahnverlust, oder wenn die Statik der Zahnbögen nach einer kieferorthopädischen Behandlung nicht mehr stimmt.
So vielfältig wie die Ursachen ist auch die Symptomatik: Betroffene leiden an überempfindlichen Zahnhälsen, Lockerung der Zähne, Parodontose, Kiefergelenksgeräuschen und schmerzen, Kopfweh und Gesichtsschmerz, Verspannungen der Hals, Nacken und Schultermuskulatur bis hin zu Rückenschmerzen – vor allem im Bereich der Hals und Lendenwirbelsäule. Da die Muskeln des Kausystems über Funktionsketten mit der Wirbelsäulenmuskulatur in Verbindung stehen, kann bei einer Fehlfunktion aber auch der gesamte Halte und Stützapparat in Mitleidenschaft gezogen werden. Dann können Beckenschiefstand, Knie und Fußprobleme nur einige der Folgen sein.
Erst Spezialisten stellen die richtige Diagnose
Vielfach werden bei CMD-Betroffenen lediglich die Symptome bekämpft: mit Medikamenten gegen Kopfweh und Schlafstörungen, Physiotherapie bei Haltungsschäden, mit einfachen Zahnschienen gegen Zähneknirschen – ohne dass es zu einer nennenswerten Besserung kommt. Spezialisten auf dem Gebiet des CMD arbeiten jedoch sehr erfolgreich interdisziplinär mit Orthopäden, Osteopathen und Physiotherapeuten, HNO-Ärzten oder Psychologen zusammen. Durch diese Zusammenarbeit kann man den Patienten als Team meist effektiver helfen.
Am Anfang der Behandlung steht der Besuch beim Zahnarzt. Nach Auswertung der Befunde und Diagnosestellung erfolgt dann eine individuelle Behandlungsplanung. Sinnvoll sind hier oft das Einsetzen einer Aufbiss-Schiene, physiotherapeutische Maßnahmen oder auch eine definitive Neueinstellung der Verzahnung, durch Zahnersatz oder Kieferorthopädie.
Der Autor und Mediziner Bertram Eicher, Master of dental Sciences, beschäftigt sich seit 15 Jahren intensiv mit dem Thema „Cranio-Mandibuläre Dysfunktion“.